Hochdosistherapie & Stammzellreinfusion

Heilung auch bei fortgeschrittener Krankheit
Viele krebskranke Kinder, die heute trotz weit fortgeschrittener Krankheit geheilt werden, überleben nur dank einer Hochdosistherapie mit anschliessender Reinfusion von blutbildenden Stammzellen. Blutstammzellen sind eigentlich die Mutterzellen für die Blutbildung. Sie haben im Gegensatz zu normalen Blutzellen die Fähigkeit, sich unzählige Male oder gar unendlich oft zu teilen und in verschiedene Blut-Zelltypen (rote und weisse Blutkörperchen oder Blutplättchen) auszureifen. Üblicherweise findet man die Blutstammzellen nur im Knochenmark. Nur wenn die Blutbildung stark stimuliert wird, erscheinen sie in grösserer Zahl auch im Blut und können dort „gesammelt“ werden.

Hochdosistherapie
Bei einer Hochdosistherapie werden die Kinder mit einer Chemotherapie behandelt, die höher dosiert wird als üblich oder die statt nur an einem Tag über mehrere Tage hintereinander verabreicht wird. Bei diesen hohen Dosen käme die Bildung der Blutkörperchen im Knochenmark für den Nachschub von roten und weissen Blutkörperchen und Blutplättchen zum Erliegen, d.h. statt nach zwei oder drei Wochen, wie nach einer Chemotherapie in üblicher Dosierung, könnte sich die Blutbildung nach einer Hochdosistherapie erst nach vielen Wochen oder gar Monaten erholen oder würde ganz zum Erliegen kommen. Die Kinder würden an unbeherrschbaren Infektionen oder Blutungen sterben.

Stammzellreinfusion
Damit sich die Blutbildung nach einer Hochdosistherapie rasch erholen kann, erhalten die Kinder etwa 24 Stunden nach Ende der hochdosierten Chemotherapie eine sogenannt „autologe“ Stammzellreinfusion; autolog heisst, mit ihren eigenen Stammzellen. Dabei werden ihnen die Blutstammzellen intravenös, d.h. durch eine Vene zurückgegeben, ähnlich wie bei einer Bluttransfusion. Die Blutstammzellen werden dann mit dem Blutkreislauf ins Knochenmark gespült, nisten sich dort ein und beginnen nach wenigen Tagen, junge gesunde Blutkörperchen zu bilden. Nach ein bis zwei Wochen kommt es im Blut der Patienten zu einem messbaren Anstieg der weissen Blutkörperchen und später auch der Blutplättchen und der roten Blutkörperchen. Die Blutneubildung funktioniert wieder.

Stammzellapherese
Die Blutstammzellen, die den Kindern reinfundiert werden, werden meist einige Wochen vor der Hochdosistherapie mit einer Stammzellapherese aus ihrem Blut entnommen und eingefroren aufbewahrt. Die Entnahme aus dem Blut erfolgt über einen Venenkatheter. Das Blut wird dabei ähnlich wie bei einer „Blutwäsche“, durch einen speziellen Apparat, einen Zellseparator geleitet, der die Stammzellen von den übrigen Blutzellen und von der Blutflüssigkeit trennt. Die Stammzellen werden in Transfusionsbeuteln gesammelt und in ein Speziallabor gebracht, wo sie aufbereitet und eingefroren werden. Die Blutflüssigkeit und die übrigen Blutzellen werden dem Patienten kontinuierlich über eine zweite Kanüle wieder zurückgegeben. Das ganze Procedere wird als Stammzellentnahme bezeichnet, dauert meist einige Stunden und kann im Patientenzimmer auf der Abteilung durchgeführt werden.

Die Berner Kinderklinik als Pionier
Die Berner Kinderklinik gehörte 1978 zu den ersten Zentren weltweit, die bei Kindern Hochdosistherapien mit anschliessender Knochenmarktransplantation durchführten. Weil damals das Verfahren der Stammzellapherese noch unbekannt war, wurden Knochenmarkzellen, d.h. Blutstammzellen aus dem Knochenmark und nicht aus dem Blut verwendet wurden. Die für die Reinfusion nötige Menge Knochenmarkzellen wurde den Patienten im Operationssaal und in Narkose durch jeweils zahlreiche Knochenmarkpunktionen entnommen.

„Stiftung für autologe Knochenmarktransplantation“
Die Finanzierung der immensen Forschungsarbeit, die für die Entwicklung der Knochenmarktransplantation nötig war, wurde zu einem grossen Teil von der „Stiftung für pädiatrische Knochenmarktransplantation“ (später umbenannt in „Berner Stiftung für krebskranke Kinder und Jugendliche“) übernommen. Sie war 1988 eigens zu diesem Zweck gegründet worden. Mit ihrer Hilfe wurde später auch die Etablierung der Stammzellapherese und –Reinfusion finanziert, die 1991 die Knochenmarkreinfusion ablöste. Kurt Leibundgut war von Anfang an für die Etablierung und die Leitung der Stammzellreinfusion in der Berner Kinderklinik zuständig und hat auch die Akkreditierungen an die Hand genommen.

Qualität der Behandlung
Für hoch spezialisierte medizinische Behandlungen wird heute nicht nur gute Qualität gefordert. Die „gute Qualität“ wird anhand von klar umschriebenen Qualitätskriterien auch gemessen und regelmässig (alle 3 resp. 4 Jahre) überprüft. Dafür werden spezialisierte, entweder landesweit, meist aber sogar international tätige Kommissionen eingesetzt wie z.B. JACIE, die Akkreditierungs-Kommission der Internationalen Gesellschaft für Zelltherapie und der Europäischen Gruppe für Blut- und Knochenmark-Transplantation.

JACIE-Akkreditierung
Im Jahre 2004 erlangte die Berner Universitätskinderklinik als erstes Spital in der Schweiz und als eines der ersten Spitäler in Europa die JACIE-Akkreditierung für die autologe Stammzell-Reinfusion bei Kindern und Jugendlichen. Die Akkreditierung erfolgte zusammen mit drei weiteren Bereichen der Universitätsklinik Bern, nämlich mit der Einheit für die Stammzelltransplantation bei Erwachsenen, mit der Einheit für die Sammlung von Stammzellen und dem Labor für die Verarbeitung und Konservierung der Stammzellen. Kurt Leibundgut war schon damals der amtierende Direktor des gesamten Programmes für autologe Stammzelltransplantation im Inselspital.

2004      JACIE Akkreditierung

2007      JACIE Keine Reakkreditierung der Stammzellreinfusion in der Kinderklinik wegen zu

              geringer Patientenzahl

2008      JACIE Reakkreditierung und seither in regelmässigen Abständen, d.h.

2013 und 2017

Hochdosistherapie, Stammzellapherese und –Reinfusion 2018
Das umfassende Projekt der autologen Knochenmarktransplantation wurde in den 70er Jahren in Angriff genommen und hat in vielen einzelnen Etappen nun zu einem ausgereiften neuen und hochspezialisierten Therapieverfahren geführt, der Hochdosistherapie mit Apherese und Reinfusion autologer Blutstammzellen, einem Therapieverfahren, das nicht nur bei älteren Kindern mit grossem Erfolg angewendet werden kann, sondern auch bei kleinen Säuglingen.

 

*„autologe Knochenmarktransplantation“ bedeutet, dass die Knochenmarkzellen, die dem Patienten infundiert werden, von ihm selber stammen und nicht etwa von einem Geschwister oder von einem fremden Spender, wie bei der sogenannten allogenen und risikoreicheren Knochenmarktransplantation. Aus diesem Grund sollte korrekterweise auch der Begriff „Reinfusion“ statt „Transplantation“ verwendet werden, weil es sich ja um eine Rückgabe und nicht um eine Übertragung handelt. Also „autologe Knochenmarkreinfusion oder Stammzellreinfusion“.

 

Siehe auch

Gute Nachrichten-Zeitung Nr. 2, Juli 2008

Gute Nachrichten-Zeitung Nr. 3, Februar 2009 und

Gute Nachrichten-Zeitung Nr. 19&20, Dezember 2017